Blogeintrag #01: Purpose - sinnvoll oder unnötiger Sturm im Wasserglas?

In Barbara’s Blog schreibe ich über das, was mich inspiriert und was mich beschäftigt. Ich erzähle Geschichten, ergründe relevante Begriffe und Themen rund um’s Zusammenleben und -arbeiten und dessen Wandel.



Im Blogbeitrag #1 geht es um den Begriff Purpose. Purpose ist in aller Munde - warum sollen Unternehmen einen Purpose haben? Da möchte ich etwas Klarheit schaffen.


Im ersten Teil geht es um meinen Bezug zum Begriff und warum auch ich nicht der deutsche Ausdruck “Zweck” verwende.

Vielleicht haben Sie schon von unterschiedliche Arten von Purpose gehört, vom Gründer-Purpose, oder vom propagierter Purpose, Future-Purpose etc. Ich erkläre, wie ich die Begriffe nutze und warum sich zukunftsorientierte Unternehmen heute nicht mehr an Leitbildern sondern in ihren Entscheidungen am Future-Purpose orientieren.

Im #3_Blog-Beitrag schreibe ich anhand eines Praxisbeispiels darüber , wie der Purpose einer Unternehmenseinheit entwickelt wurde.


MEIN BEZUG ZUM THEMA PURPOSE UND EINE DEFINITION

Im vergangenen Jahrzehnt ist “Purpose” zu einem beliebten Schlagwort geworden. Seit 2010 ist es in den Titeln von mehr als 400 neuen Büchern zum Thema Management und Führen sowie in Tausenden von Fachartikeln aufgetaucht. Eigentlich ist das auch kein Wunder: Viele Menschen – nicht nur Millennials – möchten gerne für Unternehmen arbeiten, deren Mission und Geschäftsphilosophie sie intellektuell u n d emotional anspricht. Purpose bedeutet „der innere Treiber“ oder „der höhere Sinn“. Das kann der Purpose einer Person sein, der Purpose eines Bereichs oder der Pupose einer Organisation. Es geht um: was will sie (die Person, der Bereich, die Organisation) in die Welt bringen, wozu will sie beitragen, was will sie bewirken?

Ich selber bin in der Arbeit mit meiner Kollegin Romy Gerhard[1] bei System- und Strukturaufstellungen[2] auf das Thema Purpose gestossen. Sie hat den Begriff der Purpose Consteallations geprägt. Als Repräsentantin, d.h. als Mitwirkende, die ein Element in repräsentierender Wahrnehmung vertritt, habe ich in vielen ganz unterschiedlichen Aufstellungen von Unternehmen erlebt, mit welch grosser Kraft und Klarheit sich das Purpose Element zeigen kann. Romy Gerhard sagt es so: In weit über hundert Purpose Constellations konnte ich bisher erkennen, dass die Stellvertreter für diese Elemente meist sehr bedeutende Plätze einnehmen in ihrem System. Sie können oft aussagekräftig Auskunft darüber geben, was gut und nützlich ist für ihre Organisation, wo es klemmt, und welche Chancen es gibt für Entwicklung. Das besondere in allen Purpose Constallations ist, wie Romy Gerhard das “grössere Ganz” mit ins Bild nimmt. Also das Element, zu welchem alle anderen Beteiligten einen Beitrag leisten. Je nach Auftraggeber nennt sie dies Purpose, Sinn, Zweck oder Stimme der Firma XY. Der Begriff muss für den Auftraggeber stimmig sein.


Im Kontext der Definition von Purpose finden sich Begriffe wie Nachhaltigkeit, Impact oder Diversität. Es geht schlussendlich darum, mit Blick auf ein Koordinatensystem, das drei Dimensionen besitzt - eine ökonomische, eine soziale und eine Umweltdimension - also darum - im Grossen wie im Kleinen - einen Beitrag für die Gemeinschaft, für eine etwas bessere, gerechtere Welt zu leisten.

WARUM EIN ENGLISCHER BEGRIFF?

Ich werde immer wieder gefragt: warum benutzen wir dafür kein deutsches Wort? Warum noch so ein Anglizismus? Die Antwort heisst schlicht und einfach: Weil es in Deutsch kein Wort für den eben beschriebenen Zusammenhang gibt. Im Unternehmensumfeld reden wir von Vision, Mission, Leitbild etc. Im privaten Umfeld sprechen wir eher von Sinn, Bestimmung oder Berufung. Purpose umfasst beide Bereiche, das ist der Charme. Darüber hinaus hat der englische Begriff tiefere Wurzeln: ‘Propositum’ bedeutet im Lateinischen eine vorgeschlagene oder beabsichtigte Sache, ebenso wie Vorhaben, Modell, Entwurf, Lebensstil, moralische Grundsätze. Hier liegt der Ursprung.

Purpose bedeutet „der innere Treiber“ oder „der höhere Sinn“. Das kann der Purpose einer Person sein, der Purpose eines Bereichs oder der Purpose einer Organisation. Der Purpose beantwortet: was will sie (die Person, der Bereich, die Organisation) in die Welt bringen, wozu kann sie beitragen, was kann sie bewirken? Welchen Beitrag leistet ein Unternehmen für die Gesellschaft und das Gemeinwohl? Welche Wirkung kann es erzielen? Purpose wird die übergeordnete Orientierung, an der Organisationen, Teams, Mitarbeiter:innen ihre Entscheidung messen und ausrichten. [3]

Die konventionellen Leitbilder haben an Kraft und Bedeutung verloren. Solche Leitbilder sind oft etwas selbstherrlich und egozentriert formuliert. Sie klingen ähnlich und irgendwie doch etwas hohl und abgehoben. Sie zeigen keinen höheren Sinn oder Nutzen für die Gesellschaft, sondern vielmehr der Traum von eigener Grösse und sind abstrakt, wenig fassbar und verbunden mit den Mitarbeiter:innen. Und so hört sich das an: „Wir sind Marktführer in unserer Region.“ Oder: „Wir sind der Technologievorreiter unserer Branche.“ Solche Leitsätze werden oft von ein paar wenigen Kader- und Marketingpersonen im stillen Kämmerlein konstruiert, dann stolz präsentiert. Und bald wieder vergessen. Oder stehen - als unbelebte Worthülsen - auf der Webseite der Firma.

Zukunftsfähige Unternehmen entwickeln sich zu Organisationen, die – passend zu ihrem Geschäftszweck – nachweislich Verantwortung für das Gemeinwohl tragen. Es geht nicht länger darum, der Beste der Welt zu sein, sondern der Beste für die Welt. Ökologische und soziale Aspekte, eine ethische Grundhaltung und ein sinnhaftes Tun sind zunehmend ein Muss für alle Unternehmen. Aufgeklärte Konsumenten, Talente, die Gesellschaft und auch der Finanzmarkt erwarten, dass ein Unternehmen hehrere Ziele verfolgt als Marktführerschaft und maximalen Profit. Sie wollen vielmehr wissen, welche Haltung ein Anbieter glaubhaft vertritt, wie er mit seinen Kunden und Mitarbeiter:innen umgeht und welchen Beitrag er für den Klimawandel und den überforderten Menschen leistet.

Dieser Nutzwert, der Daseinssinn, der Wesenskern, das Warum und Wofür eines Unternehmens nenne ich „Purpose“ oder Future Purpose, also eine Dimension, die in die Zukunft führt, sinnstiftend ist, authentisch, wahrhaftig, inspirierend, vorausschauend, kühn.

VERSCHIEDENE PURPOSE

In der Begrifflichkeit, resp. Purpose Präzisierung gibt es kein einheitlicher Rahmen. Ich orientiere mich an der eingangs erwähnten Darstellung von Romy Gerhard, an den Grundlagen von Fink&Moeller, Laloux und an dem, was sich in meiner Praxis in den Struktur- und Systemaufstellungen als hilfreich erwiesen hat.

  1. Purpose ist schon da und wird nicht neu erfunden.

  2. Future Purpose oder evolutionärer Sinn ist die zentrale übergeordnete Orientierung.

  3. Future Purpose kann verschriftlicht werden, muss aber nicht - der Prozess der Quest ist viel wichtiger als der Satz, der dabei herauskommt.

  4. Der Future Purpose ist wichtiger für das Innensystem einer Organisation wie für das Umfeld.

  5. Ein Aspekt, der für die meisten anfangs schwer zu verstehen ist, wenn man eine integrale, evolutionäre Perspektive wählt, dass es nicht darum geht, was unserer Meinung nach die Organisation sein soll oder tun soll. Stattdessen geht es darum, so beschreibt es Frederic Laloux[4], “dass Sie und Ihre Kollegen den einzigartigen Sinn spüren, den Ihre Organisation, Ihr Bereich in der Welt zum Ausdruck bringen will. Darin betrachten wir ein Unternehmen als einen Organismus mit einer Seele und einer eigenen Aufgabe.” Es geht also in dieser integrale, evolutionäre Betrachtungsweise, auch darum, resp. vor allem darum zu lauschen, zuzuhören, was die Organisation sein will, was s i e als angemessene nächsten Schritt erachtet.

Kommunikation und Entscheidungen in Organisationen werden durch mehrere Prämissen beeinflusst. Da sind zum einen Entscheidungsparamter wie Ziele, Strategien, Erfolgskennzahlen, gesetzte Prioritäten. Der Future Purpose gehört auch in diese Kategorie – er ist in gewisser Weise das allem anderen übergeordnete Programm, an dem sich Entscheidungen orientieren.

6. Der propagierte oder deklarierte Purpose meint das, was beispielsweise auf der Webseite steht oder intern als Orientierung und Ausdruck gilt; der propagierte oder deklarierte Purpose sagt im ideal Fall etwas zentrales vom Future Purpose.

7. Der Gründungs-Purpose meint, was wollte der Gründer damals mit dem Unternehmen bezwecken? Dieser Aspekt ist in einem Purpose Quest zentral. Die Nicht-Anerkennung dessen, was die “Gründungsväter und - mütter” mit ihrem Unternehmen anstrebten, führt zur Lähmung der aktuellen, zukunftsorientierten Vorhaben. Die Frage lautet: welche Qualität aus dem Gründer-Purpose können wir heute in der Organisation erkennen, anerkennen und nutzen?

In der Führungs- und Beratungstätigkeit lassen sich die verschiedenen Varianten, je nach Fragestellung, gut kombinieren und es ist keine Bewertung von richtig/besser oder falsch/schlechter nötig. In einem Purpose Quest ist es ratsam, dass sich das Kernteam über die Begrifflichkeiten austauscht, klärt und sich einigt, welche Begriffe mit welchen Intention verwendet werden und welche nicht.

Kommunikation und Entscheidungen in Organisationen werden durch mehrere Prämissen beeinflusst. Da sind zum einen Entscheidungsparamter wie Ziele, Strategien, Erfolgskennzahlen, gesetzte Prioritäten. Der Future Purpose gehört auch in diese Kategorie – er ist in gewisser Weise das allem anderen übergeordnete Programm, an dem sich Entscheidungen orientieren. Im Alltag mag es nicht immer notwendig sein, sich bei Entscheidungen am Purpose zu orientieren, weil es viel konkretere Orientierungsprämissen gibt, wie eben Ziele oder konkrete Vereinbarungen, was jeweils zu tun ist. Aber diese sollten sich in jedem Fall am Purpose orientieren. Man könnte sich durchaus öfter mal fragen, trägt dieses Ziel oder Vorhaben zum Wohle des Purpose (der Seele) des Unternehmens wirklich bei? Unter hoher Komplexität oder auch in akuten Krisen taugen die bestehenden Strategien, Pläne oder anderen Vorgaben oft nicht mehr für die Steuerung und als Orientierung für Entscheidungen, weil sie unter diesen Umständen innerhalb kürzester Zeit obsolet, unrealistisch oder unzureichend sind. Was liefert dann noch Orientierung? In jedem Fall ein klarer Future Purpose – eine Art Polarstern für die Orientierung in turbulenten Zeiten. Also dieses Thema ist aus meiner Sicht wirklich sinnvoll und - bei richtiger Anwendung - wirklich kein unnötiger Sturm im Wasserglas.

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In #3 Blogbeitrag schreibe ich anhand eines Praxisbeispiels darüber , wie der Purpose einer Unternehmenseinheit entwickelt wurde.

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Zum Weiterlesen:

[1] Radikale Innovation mit Purpose Constellations – ein Bericht aus der Unternehmenspraxis. Romy Gerhard. Veröffentlicht im Jahrbuch 2021 von Praxis der Systemaufstellung „Aufstellungen in Arbeitskontexten“
[2] Hier ein LINK zur Kurzbeschreibung was die Methode der Aufstellungen ist.

[3] Die Definition von Purpose ist angelehnt an Fink, Franziska; Moeller, Michael. (2022). Playbook Purpose Driven Organisations - Der Navigator für Purpose Drive in ihrem Unternehmen. Schäffer-Poeschel, Kp.1.3

[4] Laloux, Frederic. (2015). Reinventig Organisations - Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen

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Blogeintrag #2: Navigieren an der digitalen Grenze - Kommunikation zwischen Menschen ist heilig