Blogeintrag #2: Navigieren an der digitalen Grenze - Kommunikation zwischen Menschen ist heilig

«Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, dann musst du mit anderen zusammen gehen», so der bekannte Aphorismus. In einer Welt, die zunehmend von Technologie und Geschwindigkeit geprägt ist, geraten wir zuweilen in die Falle, die Kommunikation in unseren Beziehungen zu vernachlässigen. Wir alle wissen, wie es sich anfühlt, missverstanden oder auf eine Weise kategorisiert zu werden, die unser ganzes Selbst in keiner Weise erfasst. Eine funktionierende Zusammenarbeit, eine funktionierende Demokratie braucht tragfähige Beziehungen. In diesem Blog-Beitrag erfahren Sie, was Beziehungen beschädigt, worauf es bei der Kommunikation effektiv ankommt. Denn Kommunikation ist nicht das, was gesagt wird, oder auch nicht das, was nicht gesagt wird. Kommunikation ist das, was im Kontext rezipiert wird.

Zunehmendes Arbeitstempo, Digitalisierung und Informationsflut fressen sehr viel Zeit und Energie, die für die eigentliche Arbeit nötig wäre. Der daraus resultierende Stress beschädigt die Beziehungen.

Letztes Jahr führte Microsoft eine grosse Untersuchung[1] durch, bei der Billionen von Microsoft 365-Produktivitätssignale analysiert wurden, um herauszufinden, was wir eigentlich machen, wenn wir arbeiten, und ob Künstliche Intelligenz uns dabei helfen kann. Die Untersuchung zeigt etwas über den Zustand unseres derzeitigen Arbeitens. Hier ein paar interessante Punkte:

  • Die Befragten (31'000 Personen in 31 Länder wurden befragt, darunter 1000 in der Schweiz) verbringen fast 60% der Arbeitszeit mit digitaler Kommunikation – also E-Mail, Slack, online-Meetings, Chats, etc.

  • 69 % der Schweizer Arbeitnehmenden sind der Meinung, dass sie während ihres Tages nicht genug Zeit für konzentrierte Arbeit haben (im Vergleich zu 68% der Arbeitnehmenden weltweit).

  • 59% der Schweizer Arbeitnehmende geben an, dass sie angesichts des zunehmenden Arbeitstempos und der Informationsflut Schwierigkeiten haben, genügend Zeit und Energie für ihre Arbeit aufzubringen (im Vergleich zu 64% der Arbeitnehmenden weltweit).

  • Mehr als die Hälfte der Schweizer Führungskräfte (58%) gibt an, dass sie über mangelnde Innovation besorgt sind (im Vergleich zu 60% der Führungskräfte weltweit).

Man kann einwenden, dass es ja sehr viele Menschen gibt, die während der Arbeit nicht dauernd am Computer sitzen. Das stimmt natürlich, ich halte dagegen, dass z.B. auch Pflegefachpersonen oder Handwerker zunehmend darüber klagen, immer mehr Zeit mit Administration zu verbringen oder zu oft in ihren eigentlichen Tätigkeiten unterbrochen würden. «Die Menge an Daten, E-Mails und Chats übersteigt unsere Fähigkeit, sie alle zu verarbeiten. Jede Minute, die wir mit der Verwaltung dieser digitalen Last verbringen, ist eine Minute, die wir nicht für kreative Arbeit nutzen können,» sagt Microsoft Switzerland dazu in der oben zitierten Studie.
Dazu kommt, dass wir ja auch in der Freizeit viel «digital» unterwegs sind. Manches ist bequem, wenn ich grad kein Kleingeld habe, kann ich mit TWINT bezahlen, wenn ich meine Freundin grad nicht erreiche, kann ich ihr eine Sprachnachricht hinterlassen, ich kann Hörbücher hören, digital Zeitung lesen etc. Wir wissen heute noch nicht wirklich, was diese Trends für die Zusammenarbeit, für die Produktivität, für die Kreativität, für das «gute» Leben und für unsere Gesundheit effektiv für Auswirkungen haben.

Sozial Kompetenz hat auch damit zu tun, wie breit und tief das Wahrnehmungsfeld einer Person ist und Ihre Fähigkeit Resonanz[2] zu zeigen. Stress verengt unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten, wir fallen schnell in alte Muster. E-Mail, Text und Sprachnachrichten sind zwar schnell, eignen sich nicht, wenn es darum geht zwischenmenschliche Irritationen zu klären. Missverständnisse und Konflikte häufen sich, wenn wir gestresst sind und unter Zeitdruck stehen. Kontinuierlicher Stress beeinträchtigt die Moral der Mitarbeiterende und führt dazu, dass sie sich weniger engagiert und weniger motiviert fühlen. Dies wieder um wirkt sich auf die gesamte Arbeitsatmosphäre aus und belastet das Teamklima.

Stress verengt unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten, wir fallen schnell in alte Muster. Missverständnisse und Konflikte häufen sich, wenn wir gestresst sind und unter Zeitdruck stehen.

Soziale Kompetenz bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person zu kommunizieren und kontextuelles Verständnis einzubringen. Es umfasst eine Vielzahl von Fähigkeiten, die es einer Person ermöglichen, sich mit anderen zu verständigen, tragfähige Beziehungen aufzubauen, Konflikte zu lösen und in Teams zu arbeiten. Zu den Hauptkomponenten der sozialen Kompetenz gehören:

  1. Empathie: Die Fähigkeit, die Gefühle und Perspektiven anderer zu verstehen und sich in sie hineinzuversetzen. Empathie ermöglicht es einer Person, sich auf andere einzustellen und auf ihre Bedürfnisse und Emotionen einfühlsam zu reagieren.

  2. Kommunikation: Die Fähigkeit, klar, verständlich und kongruent zu kommunizieren, sowohl verbal als auch nonverbal. Dazu gehört das Zuhören, das Verfassen klarer Botschaften und das Verständnis nonverbaler Signale wie Körpersprache und Mimik.

  3. Verzerrte Kommunikation rasch erkennen: Übertreiben und Weglassens von Informationen verzerrt die Kommunikation. Heutzutage untergräbt die spaltende Kommunikation überall Beziehungen. Kommunikation ist nicht das, was gesagt wird, oder auch nicht das, was nicht gesagt wird. Kommunikation ist das, was im Kontext rezipiert wird.

  4. Zwischenmenschliche Beziehungen: Die Fähigkeit, gesunde und unterstützende Beziehungen zu anderen aufzubauen und zu pflegen. Dies umfasst Vertrauen, Respekt und die Fähigkeit, mit unterschiedlichen Meinungen konstruktiv umzugehen.

  5. Selbstregulierung: Die Fähigkeit, unterschiedliche Emotionen bei sich wahrzunehmen und sie - wenn nötig - zu beruhigen, Geduld zu üben und impulsives Verhalten zu vermeiden.

  6. Teamarbeit: Die Fähigkeit, effektiv in Gruppen zu arbeiten und zur Erreichung gemeinsamer Ziele beizutragen. Dies erfordert, seine Sicht der Dinge klar einzubringen wie auch Kompromissbereitschaft, Sach- und Beziehungsebene im Blick zu haben und die Fähigkeit, die Stärken anderer anzuerkennen und zu nutzen.

Auf die Qualität der Kommunikation im Miteinander kommt es an! Wenn Kommunikation eher trennend ist und der Kontext so, dass Kontroll-Maschinen-Denken gegenüber lebendigem Ökosystem begünstigt wird, wird der Kern der Zugehörigkeit untereinander und zur lebendigen Welt ausgehöhlt[3]. Es ist uns nicht möglich, alle Lebenszusammenhänge eines Menschen in einer einzigen Beschreibung zu berücksichtigen. Was wir aber können ist, uns der Komplexität der lebendigen Welt und der letztlich nicht vorhersehbaren Entwicklung einer Begegnung zuzuwenden. Wir können uns entscheiden und lernen, vielfältig, umsichtig und präzis wahrzunehmen, ebenso wie wir über das sprechen, was wir wahrnehmen.


Das Kontrollparadigma ist dem rasenden Veränderungstempo und den wachsenden Unberechenbarkeiten nicht mehr gewachsen.

«Alles überall auf einmal» titeln Miriam Meckel und Léa Steinacker ihr neues Buch[4], und dies trifft kurz und bündig den Zustand, dem wir alle täglich mehr oder weniger ausgesetzt sind und irgendwie meistern müssen. Und ich stimme den beiden Expertinnen für digitale und analoge Kommunikation zu, wenn sie in der Einleitung schreiben, «wenn wir in einer immer komplexeren Welt mithalten wollen, dann müssen wir auch unsere menschliche Intelligenz erweitern». Es wird jetzt sehr viel über künstliche Intelligenz gesprochen und zu wenig über den menschlichen Entwicklungsbedarf. Wir haben ja schon viel erreicht: Planungsfähigkeit, Selbstkontrolle, Initiative ergreifen, Ziele erreichen, Misserfolge bewältigen, innovativ sein etc. sind alles Fähigkeiten, die für moderne Menschen erstrebenswert sind. Man könnte meinen, dass wir zufrieden sein sollten, wenn wir all dies mehr oder weniger erreicht haben. Viele merken jedoch, dass sie es nicht sind. Sie spüren, wie anstrengend es ist, sich laufend zu kontrollieren, weiter zu verbessern, noch mehr zu optimieren. Es fühlt sich an wie treten am Ort, als wäre man in sumpfig-seichtes Gewässer geraten. Oder sie erzählen, dass ihnen, trotz enormem Krafteinsatz, das Wasser bis zum Hals stünde, begleitet mit dem Gefühl von mangelnder Lebendigkeit oder Sinnlosigkeit.

Silberstreifen am Horizont! In meinen Beratungen erlebe ich aktuell auch, eine neue Kraft und Motivation über das bestehende Kontrollparadigma, dem damit einhergehenden linear-kausalen Denken hinaus gehen zu wollen. Die Menschen spüren, gerade in der Führungsarbeit, dass das Kontrollparadigma dem rasenden Veränderungstempo und den wachsenden Unberechenbarkeiten nicht mehr gewachsen ist. Das zyklische Denken und dynamische Modelle sind in vielen Unternehmen angekommen und man scheint sich weitgehend einig zu sein, welche Merkmale das neue Paradigma (New Leadership)[5] vom alten (Old Leadership) unterscheiden.

Jedes Unternehmen und jedes Team hat seine eigenen Geschichte, seine eigene Aufgabe und demnach aktuell auch eine eigene Dynamik der Veränderung. Das höre ich in den Gesprächen mit Führungskräften. Unabhängig davon zieht die Entwicklung bei allen in Richtung «New Leadership», egal ob das Management voran geht oder nicht. Und dabei spielt das Vertrauen, das Mitarbeitende untereinander und zu ihren Vorgesetzten und in das Unternehmen selbst haben eine zentrale Rolle.

Traditionelle Fähigkeiten im Management sind nach wie vor von grosser Bedeutung. Doch wenn Unternehmen heute nach Spitzenkräften suchen, messen sie diesen Fähigkeiten weniger Bedeutung bei als früher und geben stattdessen einer Qualifikation den Vorrang vor allen anderen: Einer ausgeprägten sozialen Kompetenz.

Krisen spielen für die Entwicklung eine bedeutende Rolle, da sie Auslöser und Entwicklungshelfer für die Weiterentwicklung sein können.

 

Viele Teams und Unternehmen kriseln und stehen davor, existentielle Herausforderungen meistern zu müssen. Da braucht es Effort an unterschiedlichen Stellschrauben. Um auf das Thema Vertrauen und Beziehungsgestaltung zurückzukommen: Management und Schlüsselpersonen tragen eine besondere Verantwortung, wie sie in Krisen kommunizieren und tragfähige, vertrauensvolle Beziehungen gestalten. In dem Sinne sind können Krisen Entwicklungshelfer sein. Dabei sind Führungspersonen selber «Role Model», die Mitarbeitende und das ganze System des Unternehmens sehen und spüren wie sie in angespannten Zeiten ….

  • Zusammenarbeit gestalten,

  • Ereignisse reflektieren,

  • mit Unsicherheit umgehen,

  • Freundlichkeit im Alltag zeigen,

  • unangenehmes kommunizieren,

  • transparent, ehrlich sind und gleichzeitig empathisch sein können

  • im Team mit unterschiedlichen Meinungen umgehen,

  • in Konflikten reagieren,

  • auf Fehler reagieren etc.

Das alles ist der Humus für die Kultur im Unternehmen und damit wesentliches Kapital, um die nötigen Entwicklungen rasch genug in die richtige Richtung voran zu bringen.

Es geht nicht nur um Sie und um mich, wenn wir uns begegnen, wir können einen dritten Raum gestalten

Schauen wir etwas genauer hin was das ist «Beziehung». Der Begriff ist eigentlich irreführend, denn Beziehung als Wort ist ein Substantiv, aber in Wirklichkeit ist Beziehung ein Prozess von Moment zu Moment zu Moment. Wir gestalten die Welt durch die Beziehungen, die wir leben und durch die Beziehungsqualität, die wir vorleben am Arbeisplatz, in unserem Umfeld und weitergebend an die nächste Generation.

Machen wir ein kleines Gedankenexperiment. Sie und ich treffen uns beim Stechlunch an einem Kongress und kommen miteinander ins Gespräch. Wir stellen uns einander vor, machen etwas Smalltalk und tauschen uns aus. Es findet eine Verbindung statt, intra-connected[6]. Bisher sprachen die Kommunikationsexperten häufiger von inter-connected, was bedeutet, dass – um im Gedankenexperiment zu bleiben - Sie dort hinter dem Stehtisch sind und ich hier auf der anderen Seite, dass es eine kommunikative Distanz gibt zwischen uns, und dass das Gespräch der Prozess ist, um diese Distanz zu überwinden. Neuere Forschungen zeigen, dass in Wirklichkeit unsere beiden Nervensysteme einander sozusagen beherbergen, sobald wir Kontakt aufnehmen. Wir existieren demnach in der inneren Welt des jeweils anderen. Warum ist das wichtig? Weil – wieder am Stehtisch - meine ganze Geschichte, meine Erfahrungen, meine Biographie und Ihre ganze Geschichte, Ihre Erfahrungen und Ihre Biographie Einfluss nehmen, wie ich in Ihnen und Sie in mir aussehen. Und zwar nicht nur visuell, sondern auch, wie wir uns gegenseitig erleben. Wenn wir also sehr sicher sind, wie die Menschen sind, dann wissen wir eigentlich nur, wie die Menschen in uns sind. Die wirkliche Begegnung findet «dazwischen statt, sozusagen in einem dritten Raum». Thomas Hübl, ist Autor, moderner Mystiker, der in seiner Arbeit die grossen Weisheitstraditionen mit der modernen Wissenschaft verbindet. Im Videoausschnitt erläutert er, wie Vertrauen und Sicherheit zwischen zwei Menschen zu Stande kommt.

Wir können nicht gänzlich vermeiden, dass unsere Beziehungen ab und zu Schaden nehmen. Wir sind Zeugen einer Zeit, in der eine Vielzahl von Krisen unsere Welt prägt, von der Klimakrise bis hin zu sozialen und politischen Unruhen, in einer Welt die zunehmend von Technologie und Geschwindigkeit geprägt ist. Wir können jedoch entscheiden, welchen Wert wir den Beziehungen in unserem überschaubaren persönlichen und beruflichen Umfeld geben und wir können entscheiden, ob, warum und wie wir Beziehungsqualität pflegen. Wir können entscheiden, über das individuelle Selbst hinauszublicken zu wollen, Kontext zu erfassen oder eine kollektive Perspektive einzunehmen. Indem wir uns als Teil eines grösseren Ökosystems verstehen, können wir Verbindungen herstellen und Unterstützung finden, die über unsere eigenen Grenzen hinausgehen.

Weiterführende Texte

[1] Microsoft-Studie Work Trend 2023

[2] Resonanz ist eine Qualität menschlicher Beziehungen zur Welt, die von Hartmut Rosa vorgeschlagen wurde. Harmut Rosa, Professor für Soziologie an der Universität Jena, beschreibt seine Resonanztheorie im Buch Resonanz (2016) ausführlich, um soziale Phänomene aus einer grundlegenden menschlichen Suche nach "resonanten" Beziehungen zu erklären.

[3] Alexander Beiner und Nora Bateson. Kommunikation ist heilig von Nora Bateson. Warum Veränderung in den Räumen zwischen uns stattfindet
Unpsychology magazine 06.02.2024

[4] Meckel, Miriam; Steinacker, Léa (2024). Alles überall auf einmal - Wie Künstliche Intelligenz unsere Welt verändert und was wir dabei gewinnen können. Rowohlt Verlag

[5] Küchler, Barbara; Fountain, Claudia (2023). Stufenentwicklung – Das Erfolgsgeheimnis echter New Leaders, zfo Zeitschrift Führung + Organisation 3/2023

[6] Alles was ich dazu weiss, erforsche ich selber seit vielen Jahren und habe mich dazu immer wieder mit Expert:innen ausgetauscht, ihre Texte gelesen, ihnen zugehört, z.B. David Bohn, Nora Bateson, Thomas Hübl, Joachim Bauer, Deb Dana, Maja Storch

[7] Hübl, Thomas (2023). Die heilsame Kraft unserer Beziehungen - Die tiefgehende Bedeutung menschlicher Beziehungen aus visionär-spiritueller Sicht. Irsiana Verlag

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Blogeintrag #3: «Purpose Stresstest» mit einer System- und Strukturaufstellung (SyA) – eine Fallbeschreibung

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Blogeintrag #01: Purpose - sinnvoll oder unnötiger Sturm im Wasserglas?